Ein Unternehmensstrafrecht gibt es in Deutschland bislang nicht. Das wird sich mit der Umsetzung des Gesetzesvorhabens ändern. Rechtsanwalt Prof. Dr. Fissenewert von der Kanzlei Buse Heberer Fromm beleuchtet im Interview mit der ESV-Wirtschaftsredaktion die Neuerungen und Konsequenzen für Unternehmen und Verantwortliche.
Worin genau liegen die grundlegenden Neuerungen?
Peter Fissenewert: Bislang konnten Unternehmen in Deutschland nicht bestraft werden. Das Strafrecht ist ein Individualstrafrecht und sieht also lediglich die Bestrafung von Personen, nicht aber von Unternehmen vor. Zwar konnten in Ausnahmefällen. etwa wie Kartellrecht, Datenschutzrecht und Mindestlohn, Unternehmen zum Teil auch erheblich mit einer Geldbuße belegt, allerdings nicht bestraft werden. Das soll sich nun ändern. Das Verbandssanktionengesetz (VerSanG) soll ein völlig neues Haftungs- und Sanktionsregime für Unternehmen einführen, das nicht zuletzt den Mittelstand vor zusätzliche Compliance-Management-Herausforderungen stellen wird. Künftig sollen statt ordnungswidrigkeitenrechtlicher Geldbußen „Verbandssanktionen“ gelten, die an Kriminalstrafen angelehnt sind. Der Sanktionsrahmen kann bis zu 10 Prozent des Jahresumsatzes betragen.
Das VerSanG setzt starke Anreize für die Aufklärungshilfe durch die Unternehmen mittels „verbandsinterner Untersuchungen“. In Abkehr vom bislang geltenden Opportunitätsprinzip im Ordnungswidrigkeitenrecht soll das Legalitätsprinzip gelten.
In welchen Fällen müssen Behörden in Deutschland künftig Ermittlungen gegen Unternehmen aufnehmen? Welcher Anlass reicht dafür aus?
Peter Fissenewert: Die Behörden in Deutschland müssen künftig Ermittlungen gegen Unternehmen aufnehmen, wenn eine Verbandsstraftat vorliegt, also etwa dann, wenn Pflichten, die das Unternehmen – also den Verband – treffen, verletzt werden. Hierzu gehören insbesondere klassischen Vermögens-, Steuer-, Umwelt- und Wettbewerbsdelikte. Verübt eine Leitungsperson des Verbands eine Verbandsstraftat oder wird sie von einem Mitarbeiter mangels adäquater Präventivmaßnahmen begangen, soll gegen das Unternehmen eine Sanktion verhängt werden können. Zuvor bedarf es aber der Ermittlungen.
Hier soll nun das Legalitätsprinzip eingeführt werden. Bislang waren ja die Vergehen von Unternehmen weitestgehend im Ordnungswidrigkeitengesetz angelegt. Dort herrscht das Opportunitätsprinzip, das zu einer uneinheitlichen Verfolgungspraxis geführt hat. Die Verfolgung von Verbandsstraftaten soll nicht mehr von regionalen Besonderheiten oder der personellen Ausstattung und Auslastung von Polizei und Justiz abhängen. Für Verbandsstraftaten soll nun das Legalitätsprinzip gelten. Das heißt: Die Verfolgungsbehörden müssen dann bei einem Anfangsverdacht ermitteln.
Wie sollten oder müssen Unternehmen vorgehen, wenn Ermittlungen gegen sie laufen? Was bedeutet beispielsweise uneingeschränktes Kooperieren?
Peter Fissenewert: Ist dem Unternehmen daran gelegen, die Auswirkungen der nach dem Entwurf fast schon obligatorisch scheinenden Sanktionierung abzumildern, kann es interne Untersuchungen entweder selbst vornehmen oder Dritte mit deren Durchsuchung beauftragen (§ 16 VerSanG). Grundsätzlich lassen sich hierdurch eine Unterbrechung des gegen das Unternehmen geführten Verfahrens (§ 41 VerSanG), eine Halbierung des vorgesehenen Höchstmaßes der Unternehmenssanktion sowie ein Entfallen des Mindestmaßes und eine Vermeidung der öffentlichen Bekanntmachung der Verurteilung des Verbands erreichen (§ 18 VerSanG).
Der Vergleich zum ersten Entwurf verdeutlicht, dass der Gesetzgeber in der Vorschrift des § 17 VerSanG den hohen Stellenwert der Kooperation des Unternehmens mit den Verfolgungsbehörden und den der internen Untersuchungen für eine Sanktionsmilderung dadurch honorieren möchte. Das Gericht „soll“ die Verbandssanktion in diesen Fällen mindern, während der Wortlaut des ursprünglichen Referentenentwurfs den Gerichten mit der Formulierung „kann“ noch einen allgemeinen Ermessensspielraum gewährte. Allerdings werden die genannten Erleichterungen nur gewährt, wenn das Unternehmen die internen Untersuchungen unter den engen Vorgaben des § 17 VerSanG betreibt.
Welche Konsequenzen hat das Gesetz für die Verantwortlichen in den Unternehmen? Wie verhält es sich beispielsweise mit dem Sanktionsregister?
Peter Fissenewert: Für die Verantwortlichen im Unternehmen hat das VerSanG zunächst lediglich mittelbare Konsequenzen, da nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes zunächst nur der Verband „bestraft“ werden soll. Mittelbar hat dies natürlich auch erhebliche Auswirkungen für die Verantwortlichen.
Der Begriff der Leitungsperson entspricht im Wesentlichen demjenigen in § 30 Abs. 1 OWiG. Taugliche Täter einer Verbandsstraftat sind folglich unter anderem Mitglieder vertretungsberechtigter Organe einer juristischen Person (etwa Vorstand einer Aktiengesellschaft, Geschäftsführer einer GmbH), vertretungsberechtigte Gesellschafter einer rechtsfähigen Personengesellschaft (darunter Geschäftsführer einer Komplementär-GmbH bei einer GmbH & Co. KG, Komplementär einer Kommanditgesellschaft oder Gesellschafter einer oHG), in leitender Stellung befindliche Prokuristen, Handlungsbevollmächtigte sowie sonstige Personen mit Leitungs-, Überwachungs- und Kontrollbefugnissen (beispielsweise Compliance- oder Geldwäsche-Beauftragte und Mitglieder eines Aufsichtsrats), das ergibt sich aus § 2 Abs. 1 Nr. 2 VerSanG.
Mittelbare Konsequenzen ergeben sich für die Verantwortlichen aus deren zur Unternehmensstrafe führenden Handeln. Hierfür kann der Verantwortliche zur Verantwortung gezogen werden.
Neben der zum Teil empfindlichen Strafe erfährt das Unternehmen häufig auch eine empfindliche „Nebenstrafe“, da § 14 VerSanG die öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung des Verbands vorsieht. Bei einer großen Zahl von Geschädigten soll das Gericht neben der Verhängung einer Verbandssanktion zur Information der durch die Verbandstat Geschädigten die öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung des Verbands anordnen können.
Nach den Motiven ist nicht ein „name and shame“ gemeint. Ziel der Norm des § 14 VerSanG soll sein, nicht den betroffenen Verband an den Pranger zu stellen, sondern vielmehr die von der Verbandstat betroffenen Personen über die für sie relevanten Tatsachen zu informieren.
Welche Punkte sind im Referentenentwurf aus Ihrer Sicht nicht hinreichend ausformuliert und bedürfen einer Klärung?
Peter Fissenewert: Leider finden sich viele unbestimmter Rechtsbegriffe wie etwa „Leitungsperson“ oder die offene Frage, wer oder was eine „sachkundige Stelle“ im Sinne des § 13 Abs. 2 VerSanG sein soll oder darf.
Der Gesetzesentwurf bedient sich auch einer völlig veralteten Compliance-Definition: „Compliance, das heißt alle Maßnahmen zur Gewährleistung von rechtmäßigem Verhalten aller Verbandsangehörigen im Hinblick auf alle gesetzlichen Gebote und Verbote.“ Die modernen Compliance-Definitionen sind viel umfassender und gehen über gesetzliche Verbote und Gebote notwendigerweise deutlich hinaus. Compliance ist viel komplexer zu begreifen und besteht nicht allein aus der Einhaltung der Regelungen bzw. des Rechts und ist auch nicht mit dem Zufall, dem individuellen Engagement oder dem partiellen Abteilungsinteresse zu verdanken, sondern einer Compliance-Architektur 24/7, verbunden mit den gesamten internen wie externen Unternehmensverbindungen.
Nach dem Entwurf soll nur das Verhältnis zwischen einem „beschuldigten“ Unternehmen und seinem Anwalt geschützt sein. Das ist unverständlich. Solange keine Beschuldigung vorliegt, kann die Korrespondenz mit dem Anwalt und seine Arbeitsprodukte theoretisch beschlagnahmt und etwa in Verfahren gegen Dritte verwendet werden – nur in einem Ausnahmefall nicht, nämlich, wenn der Mandant „Beschuldigter“ in einem Strafverfahren ist.
Welche Punkte fehlen Ihrer Meinung nach in dem Gesetzesvorhaben?
Peter Fissenewert: Es ist deutlich ein stärkeres Herausstellen flexibler Compliance-Voraussetzungen zu fordern. Dieses Gesetz bietet erstmals die Chance, gesetzliche Compliance-Anforderungen deutlich zu formulieren. Dies bietet zum einen die Möglichkeit für Unternehmer und Unternehmen, sich an gesetzlichen Voraussetzungen hinsichtlich Compliance zu orientieren. Wenn sie denn befolgt werden, muss dies dann auch zu einem klaren Vorteil führen.
Zur Person |
Prof. Dr. Peter Fissenewert ist Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei Buse Heberer Fromm am Standort Berlin. Seine Tätigkeitsschwerpunkte sind das Wirtschaftsrecht und das Wirtschaftsstrafrecht und hier insbesondere das Gesellschaftsrecht, Restrukturierung, Sanierung und Insolvenz, dazu Compliance-Beratung und Managerhaftung. Vor seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt arbeitete Peter Fissenewert unter anderem als Sprecher des Berliner Innensenators und führte bis 1995 die Geschäfte einer mittelständischen Unternehmensgruppe. Seit 2005 hält er eine Professur für Wirtschaftsrecht. |
Lesen Sie in Teil 2 des Interviews, wo das deutsche Unternehmensstrafrecht im internationalen Vergleich einzuordnen ist und welche Chancen sich Unternehmen durch das Verbandssanktionengesetz bieten.
Weiterführende Informationen des Bundesjustizministeriums zum Verbandssanktionengesetz finden Sie hier.
Einen ausführlichen Beitrag von Prof. Dr. Fissenewert über die Einführung des Verbandssanktionengesetzes bringt die ZCG in der Ausgabe 4/20.
(ESV/fab)
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